Die Besonderheit des Ansatzes der digitalen Initiative in Illingen ist der modulare Charakter der Plattform. In Zusammenarbeit mit dem Pforzheimer IT-Unternehmen Equitania Software GmbH bietet der Gewerbeverein Illingen mehrere Möglichkeiten zur Steigerung der digitalen Sichtbarkeit. Dabei funktioniert illingen-hats.de als Drehkreuz für die digitalen Angebote und Informationen der Gewerbetreibenden. Innerhalb des lokal fokussierten Kommunikationsrahmens werden News und Veranstaltungshinweise ebenso platziert wie Ausbildungs- und Praktikumsplätze bei örtlichen Unternehmen.

Grundlage der Initiative ist wie in anderen Städten auch eine Arbeitsgemeinschaft, innerhalb derer sich die Händler und Mitglieder des Gewerbevereins gemeinsam mit dem IT-Infrastrukturgeber über die notwendigen Maßnahmen und den Know-how-Transfer verständigen.

Händler können drei verschiedene, aufeinander aufbauende Module einsetzen:

  1. Digitaler Branchenbucheintrag
  2. Eigene Website auf Basis eines Baukastensystem mit ERP-Features
  3. Eigener Online-Shop auf Basis eines Baukastensystem mit umfänglichen ERP-Features (sowie entsprechende Adaptionen für Gastronomen und Dienstleister)

Produkte von einzelnen Händlern auf einer gemeinsamen Online-Plattform zu versammeln, ist der Sinn eines Marktplatzes. Schließlich können dadurch Online-Marketing- und IT-Ressourcen gebündelt werden. Aber ein gemeinsamer händlerübergreifender Warenkorb, der aus Kundenperspektive schlüssig ist, erfordert einen hohen konzeptionell-technischen und rechtlichen Aufwand. Hier haben etablierte Anbieter wie atalanda oder HierBeiDir.com einen Entwicklungsvorsprung.

Illingen hat dennoch eine individuelle Lösung in Auftrag gegeben und versucht den Marktplatz-Gedanken aufrecht zu erhalten, indem Produkte aus externen Händlershops auf der Plattform zwar gefunden, aber nur in den jeweiligen Shops gekauft werden können. Dies setzt allerdings einen zwingenden Rückgriff auf alle Produktdaten voraus. Mit einem einheitlichen Open-Source-ERP-System, das von möglichst vielen Händlern genutzt wird, ist eine große Abdeckung an Produktdaten einfacher als unterschiedliche Warenwirtschaftssysteme anzubinden. Dies ist der konzeptionelle Kerngedanke von „Illingen hat’s“.

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Gelungene Umsetzung

Gut gelungen ist die Plattform-Suche, die in der Ergebnisdarstellung sowohl nach einzelnen Geschäften und Dienstleistern aus dem Branchenverzeichnis als auch nach Produkten aus den verlinkten Shops unterscheidet. Auch das im CMS integrierte SEO-Werkzeug, das händlerindividuelle Einstellungen zulässt, geht über Standardlösungen für lokale Online-Marktplätze hinaus.

Der Rückgriff auf verschiedene Module ist ein hervorragendes Mittel, um zum einen die Einstiegshürden für Teilnehmer niedrig zu halten, zum anderen aber auch um ambitioniertere Händler auf einer höheren Stufe abzuholen. Der begleitende IT-Dienstleister legt zurecht großen Wert auf Warenwirtschaftssysteme oder Datev-Schnittstellen bei der Bereitstellung einer Unternehmens-Website bzw. eines händlereigenen Shops. Für letzteren sind sogar Kassenmodule hinzubuchbar oder etwa Software für Gastronomen. Hier greift das eingesetzte ERP-System Odoo, das noch viele weitere Features und Anbindungen zulässt. Die Systeme im Hintergrund halten also den Bedürfnissen eines zukunftsorientierten Händlers oder Dienstleisters stand. Dies gilt auch für die Bedienbarkeit. Das CMS ist weitestgehend intuitiv bedienbar (siehe dazu auch das Video oben ab Minute 21:40).

Optimierungsbedarf

Abstriche werden jedoch im Frontend gemacht. So basieren die Händler-Auftritte weitestgehend auf einer gemeinsamen Layout-Vorlage bzw. sind als Baukastensystem angelegt, das noch dazu an Anmutung zu wünschen übrig lässt. Dies gilt zwar weitestgehend auch für den Gesamtauftritt der Plattform, aber digitale Sichtbarkeit bedeutet im Kern eben auch digitales Branding. So werden mitunter wohl geführte, gewachsene Händlermarken aus der Kohlenstoffwelt mit einem visuell suboptimalen Internetauftritt ramponiert. Was nützt also das ausgereifteste Backend, wenn es im Frontend nach liebloser Gestaltung aussieht. Der Kunde kauft und informiert sich auch mit dem Auge.

Von den acht verlinkten Shops sind augenscheinlich allenfalls fünf im Rahmen der digitalen Initiative erstellt worden. Das ist sicherlich zu wenig für ein Geschäftsmodell der Betreiber bzw. es zeigt, dass es nicht gelungen ist, die örtliche Klientel mit Nachholbedarf zu mehr digitalem Engagement jenseits eines Branchenbucheintrags zu bewegen. Allerdings bewegt sich ein nicht unerheblicher Teil der Gewerbetreibenden im Online-Schaufenster mit den eigenen Webauftritten bereits auf einem hohen Niveau.

Konsequenterweise finden sich so auch nur wenige online kaufbare Produkte auf dem Marktplatz bzw. sie entstammen zuvorderst aus den Kategorien „Weine“ und „Kosmetik“, da offensichtlich diese Händler per Warenwirtschaft ihre Produkte online bringen. Wenn dann aber noch Angebote wie etwa eine „Detox-Behandlung mit Fußreflexzonenmassage“ mehrfach erscheinen, offenbart dies technische Unzulänglichkeiten, Bedienfehler im CMS oder die fehlende Aufmerksamkeit eines Kümmerers, der den Marktplatz zumindest ab und an nach konzeptionellen und technischen Ungereimtheiten abklopft. Einmal mehr wird so klar, dass eine digitale Initiative als Lernprozess mit ständiger Begleitung verstanden werden muss.

Und so wird der Betreiber auch nach über einem Jahr dem eigenen Anspruch nicht zufriedenstellend gerecht, einen „regionalen“ Marktplatz mit Teilnehmern über die Grenzen der Gemeinde Illingen hinaus aufzubauen. Nur wenige Händler und Dienstleister finden sich laut Branchenverzeichnis in der Nachbarstadt Vaihingen oder in angrenzenden Ortsteilen und Gemeinden von Illingen. Ein regionaler Ansatz für die Gesamtregion Nordschwarzwald hätte hier sicherlich größeres Potential, zumal sich auch die IHK Nordschwarzwald als Schirmherr der Plattform und auch finanziell engagiert.

Fazit

Einem Pressebericht zufolge werden die jährlichen Kosten der auf fünf Jahre angelegten Initiative auf 100.000 Euro geschätzt – für eine Gemeinde mit etwa 7.500 Einwohnern sehr viel Geld. Angesichts dieses Betrages kann man aus technischer und vertrieblicher Sicht mit dem Status-quo der Online-Plattform nicht zufrieden sein. Ist sie allerdings als Prototyp für weitere Regionen, Städte und Kommunen in Baden-Württemberg gedacht, sollte mehr für ein tatsächliches Vorzeigeprojekt mit Strahlkraft getan werden.

Mit einer Auszeichnung des Bundes der Selbstständigen (BdS) Baden-Württemberg für die Bemühungen des Illinger Gewerbevereins wurde ja der Ansatz als „Best Practice“ gewürdigt. Wenn hier nun stärker auf die Online-Schaufenster-Funktion der Seite hingearbeitet werden würde, wäre dies sicherlich ein Gewinn. Mehr Händler in die Produktwelt zu bringen, ist unter den oben geschilderten Voraussetzungen weitaus schwieriger und ressourcenintensiver.