Verena Birkmann: Sie haben ja bereits angesprochen, dass Sie Ihren eigenen Online-Shop schon seit Ende der 1990er Jahre führen. Ich habe gelesen, dass Sie zwischenzeitlich sogar vier Online-Shops hatten. Ist das noch aktuell?
Herr Keller-Leist: Nein, das war aus der Geschichte heraus. Also wir haben immer mal wieder experimentiert und wir waren relativ früh mit unserem eigenen Online-Shop online. Aber wir waren kein Online-Händler. Wir waren stationärer Händler mit einem angeschlossenen Online-Shop und so hat es funktioniert. Und solange die Wettbewerber nicht so stark waren und teilweise noch gar nicht da, hat das alles gut funktioniert – auch die Umsätze. Irgendwann haben wir dann gesagt, dass wir Spezial-Shops aufbauen möchten. Das waren dann die Bereiche Berg- und Wanderschuhe, Jagd-Schuhe und Einsatz-Schuhe. Letzteres Feld ist weggebrochen, weil die Bundeswehr sich mittlerweile bei den Herstellern direkt versorgt und die beiden anderen waren schwierig. Wir mussten einfach lernen, dass wenn wir einen kleinen Online-Shop mit nur 300-400 Artikeln haben, dass wir unheimlich viel Geld in die Hand nehmen müssen, um gefunden zu werden. Bis 2017 hatten wir sinkende Umsätze im Online-Bereich zu verzeichnen. Wir hatten niemanden, der uns richtig beraten hat. Natürlich haben wir etwas Werbung gemacht, aber es war nicht so erfolgreich, wie wir uns das vorgestellt hatten. Das lag aber auch daran, dass wir stationärer Händler waren. Das andere lief so nebenbei und die reinen Online-Profis haben uns den Rang abgelaufen. 2017 kam dann die Überlegung: Was machen wir? Gehen wir auch auf die Plattformen und verkaufen auf Amazon, Schuhe.de und solche Geschichten. Da gibt es einige. Aber wir wollten keine Daten aus der Hand geben. Und dann kam eben der Kontakt zu einem Freund von mir, der sagte: „Ich mach mich in dem Bereich selbstständig und mache eine eigene Plattform.“ Daraus entstand dann die Shopfair GmbH und wir waren Pilothändler. Wir haben das ausprobiert und im ersten halben Jahr gemerkt, dass es für uns funktioniert. Und durch die Kontakte mit den Leuten, die reine Onliner waren, konnten wir dann auch unseren eigenen Online-Shop optimieren. Das heißt, wir haben die Sub-Shops abgeschafft, haben uns auf Schuh-keller.de konzentriert und haben gemerkt, dass die Umsätze nach oben gingen. Und so hätte das eigentlich weitergehen können, wenn der Gründer der Shopfair GmbH sich nicht wieder aus dem Bereich zurückgezogen hätte. Nach einer kurzen Überlegung habe ich dann beschlossen, dass wir diese kleine Firma, die Shopfair GmbH, selbst übernehmen. Und aus den 3-4 Händlern zu Beginn sind wir Stand heute über 60 Händler geworden. Wir versuchen diesen Händlern eine Serviceleistung und eine Alternative zu den großen Plattformen zu bieten. Aber eben auch bei Fragen zu Social Media und als Hilfestellung bei anderen Online-Themen. Denn wir hatten diese Hilfe nicht und man merkt eben, wenn man keinen Spezialisten für Online-Handel hat, dann wird es schwierig. Und das ist für mich auch der Punkt, den ich bei vielen Händlern jetzt sehe. Die sehen: „Okay, online funktioniert. Ich habe zwei Jahre der Pandemie hinter mir. Ich mache jetzt auch einen Online-Shop.“ Dann lassen sie sich bei irgendeiner Agentur, die vielleicht auf Schuhe oder Kleidung spezialisiert ist, einfach einen Online-Shop entwickeln und geben dafür ihr letztes vorhandenes Geld. Und dann hat der Händler einen großartigen Onlineshop. Dann geht es weiter: Anbindung, Texte, Bilder. Hier dann einfach etwas von den Herstellern zu kopieren und dann auf den eigenen Online-Shop zu übertragen, sprich Doppelt-Content, bringt einen nicht nach vorne. Dann hat der Händler für viel Geld einen Online-Shop, der irgendwo im Nirvana bei Google ist und nicht gefunden wird und verdient auch kein Geld damit. Also man muss die Händler darauf hinweisen, dass da, wenn sie den Online-Weg gehen möchten, Folgekosten auf sie zukommen werden. Das ist wie eine weitere Filiale. Die kostet auch Geld und erfordert Werbung und Manpower.
Verena Birkmann: Sie selbst arbeiten mit eigenen Produktbildern, richtig? Sind diese dann nur für den eigenen Gebrauch gedacht, oder stellen sie diese auch den anderen Händlern zur Verfügung?
Herr Keller-Leist: Zum Großteil sind die für uns selbst. Aber wir arbeiten auch mit mehreren Händlern zusammen. Wir shooten ihre Schuhe, laden die Bilder anschließend in die Cloud und dort können sie sich dann die entsprechenden Bilder runterladen.
Verena Birkmann: Das heißt aber, Sie sind neben dem Bereich mit Endkunden auch im Bereich B2B tätig?
Herr Keller-Leist: Genau. Der nächste Bereich ist eben, dass wir auch mit den Herstellern zusammenarbeiten. Mittlerweile ist es so, dass viele Hersteller selbst an Endkunden gehen. Ich persönlich glaube aber, dass der Hersteller eher Hersteller bleiben sollte, denn die Kunden erwarten eine entsprechende Service-Leistung. Nur ganz wenige große, internationale Hersteller wird das gelingen. Man merkt im Outdoor-Bereich, dass die Hersteller die erforderliche Beratung nicht gewährleisten können. Darauffolgend wird es Probleme mit den Kunden geben, da sie das falsche Produkt haben und, dass sie unzufrieden sind. Insofern sehe ich den Handel als sehr wichtig an. Trotzdem glaubt die Industrie aber auch Wege zu kennen, um Lagerüberhänge oder Saisonware entsprechend verkaufen zu können.
Verena Birkmann: Liegen Ihnen denn aktuelle Zahlen zum Durchschnittswarenkorb-Wert Ihres Online-Shops vor?
Herr Keller-Leist: Dieser liegt bei uns jenseits der 100-Euro. Das liegt aber auch daran, dass wir viele hochwertige Schuhe verkaufen. Gerade im Wanderschuh-Bereich, da gibt es nichts unter 150 Euro. Wir bieten wenige Schuhe unter 100 Euro an. Aber da ist der Durchschnittswarenkorb-Wert ein ganz wichtiges Thema. Meiner Meinung nach ist es bei einem Warenkorb, der unter der 60-Euro-Grenze liegt, schwierig noch etwas zu erwirtschaften. Man muss davon noch die Mehrwertsteuer, das Porto, die Verpackung und die Zeit abziehen. Besser sind da 80 oder 100 Euro.
Verena Birkmann: Haben Sie denn auch aktuelle Zahlen zu den Retouren-Quoten? Ich habe gelesen, dass man bei Ihnen im Nachgang einer Bestellung eine E-Mail erhält, ob man das richtig bestellt hat, oder ob es die richtige Größe ist.
Herr Keller-Leist: Retouren sind ein ganz großes und wichtiges Thema. Wir versuchen stets unsere Online-Seiten zu optimieren, dass der Kunde dort bereits Informationen zur Größe erhält, aber auch die Möglichkeit hat, eine E-Mail zu schreiben oder das Service-Telefon zu benutzen. Wir möchten schon bei der Bestellung die richtige Größe für den Kunden generieren. Beim Eingang einer Bestellung, erhält der Kunde automatisch eine E-Mail: „Vielen Dank! Haben Sie an die richtige Größe gedacht?“ Diese ist auf die entsprechende Warengruppe angepasst und hat das Ziel, Fehlbestellungen zu vermeiden. Unsere Retouren-Quote liegt zwischen 28 und 30 Prozent.
Verena Birkmann: Wie viele Bestellungen erhalten Sie täglich oder wöchentlich in Ihrem Online-Shop?
Herr Keller-Leist: Das schwankt natürlich. Also in der Regel ist Montag unser stärkster Tag, weil das Wochenende dazwischen liegt. Mein Online-Team ist an Samstagen bis 14 oder 16 Uhr da. Danach gehen weitere Bestellungen ein, die aber dann bis Montag liegen bleiben. Deswegen haben wir montags häufig zwischen 80 und 100 Bestellungen.
Verena Birkmann: Das ist ganz schön ordentlich! Sehen Sie denn dann auch einen Zusammenhang zwischen Ihrem stationären Geschäft und dem Onlineshop? Also informieren sich die Kunden beispielsweise online über Ihre Produkte und kommen dann gezielt in den Laden, um Schuhe zu probieren?
Herr Keller-Leist: Ganz klar: ja! Interessanterweise erreichen wir online Kunden, die in der Nähe oder sogar in Ludwigshafen wohnen, die uns nicht kannten. Wir haben Kunden, die von weither kommen und dann einen Ausdruck von Schuhen aus unserem Online-Shop mitbringen, die sie gerne probieren möchten. Oder sie zeigen uns die Schuhe auf dem Handy. Also die Leute sind da mittlerweile unheimlich. Wenn sie sich so etwas Hochwertiges kaufen, dann informieren sie sich vorher. Ob der Händler jetzt einen Online-Shop hat oder nicht hat, das ist egal. Er braucht aber auf jeden Fall eine gute Webseite, die dem Kunden einen Mehrwert liefert. Also eine Webseite, die Informationen zu Parkplätzen und zur Anfahrt enthält oder vielleicht auch eine Terminvereinbarung anbietet. Diese Angebote nutzen die Kunden gerne – im Übrigen auch Ältere. Als wir, während der Pandemie, die Impf- und Testzertifikate überprüfen mussten, zückten 99,9 Prozent der Kunden von Jung bis Alt ein Smartphone. Als ich einmal selbst an der Türe stand, kam eine Kundin, die meinte, dass Sie zwar kein Smartphone besäße, dafür aber ein iPad, das sie mir dann zeigte. Weil man immer sagt: „Internet ist etwas für die Jüngeren.“ Ich kann aus eigener Erfahrung klar sagen: „Nein.“ Seit der Pandemie haben sich viele aufgerüstet, vielleicht kennen Sie es selbst aus dem Bekanntenkreis. Da zieht die kleine Enkelin für das Studium in die USA und die neue Technik erlaubt es, sich zu sehen und zu sprechen.
Verena Birkmann: Wie verteilt sich der Umsatz denn auf die beiden Kanäle? Also haben Sie das Gefühl, der stationäre Umsatz ist geringer geworden, seit Sie den Online-Shop haben? Oder ist der Gesamtumsatz gestiegen?
Herr Keller-Leist: Also wir konnten eine Steigerung bei beiden erreichen, weil es immer Leute gibt, die in den Laden kommen möchten. Ludwigshafen ist nicht die Stadt, durch die man durchbummelt. Deswegen muss ich darauf achten, dass ich die Leute über den Online-Shop und die Werbung, auch über die Social-Media-Kanäle erreiche und hierher bewege. Und letztes Jahr war es das erste Mal, dass wir online mehr Umsatz als stationär gemacht haben.
Verena Birkmann: Würden Sie sagen, dass diese Entwicklung aufgrund der Corona-Krise eingetreten ist?
Herr Keller-Leist: Zum einen haben wir unheimlich viel gemacht. Wir haben den Online-Shop optimiert und beworben. Mittlerweile haben wir alle vier Wochen Meetings mit unseren Webmastern und unseren Social-Media-Beauftragten. Zum jetzigen Stand kann ich sagen, dass der Januar auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Vorjahr angesiedelt ist. Und ich denke, dass wir online sicherlich nicht an Umsatz verlieren werden. Es bleibt zu hoffen, dass das stationäre Geschäft dieses Jahr nicht wieder geschlossen werden muss. Da muss man abwarten, wie das weiterläuft.
Verena Birkmann: Wenn Sie sich entscheiden müssten, was würden Sie wählen? Für immer online oder für immer offline?
Herr Keller-Leist: Das ist gar nicht so einfach. Ich muss ehrlich sagen, dass ich vom Herzen her stationärer Händler bin und die Pandemie war für uns wirtschaftlich nicht das Problem. Wir haben am Anfang geschaut, was man machen kann und haben Pläne aufgestellt. Als wir gesehen haben, dass online einiges hilft, waren wir entspannter. Das Schlimme für mich war die Tatsache, dass man einen großartigen Laden mit neuer Ware hat, der mittlerweile zum dritten Mal geputzt ist und man ihn nicht öffnen durfte. Also insofern, vom Herzen her und auch aufgrund des Kontakts mit meinen Kunden bin ich stationärer Einzelhändler. Aber ich sehe die Chancen des Online-Handels. Ich mag diese Schnelligkeit, auch die Art und Weise den Kunden zu beraten. Wir haben zwischenzeitlich zum Beispiel auch einen Video-Chat angeboten. Es hat schon seine Vorteile und so, wie wir es momentan aufgestellt haben, sehe ich da durchaus eine große Zukunft. Ich kann diese Auswahl stationär so nur gewähren, wenn ich einen zweiten Kanal, in dem Fall online, habe. Und deswegen ist es ein Ineinandergreifen beider Kanäle.
Verena Birkmann: Bei den Umsätzen im Online-Bereich dominiert wahrscheinlich Ihr Online-Shop vor der shopfair24.de-Plattform, richtig?
Herr Keller-Leist: Ja, ganz klar. Das andere ist ein Kanal und ein Hilfsmittel, um die Lager-Drehzahlen zu erhöhen. Wenn sich heutzutage ein Händler für den Online-Verkauf entscheidet, dann ist das nicht das Wunschlos-Glücklich-Paket, sondern er muss genauso mitdenken, wie wenn er stationär eine Filiale hätte. Das heißt, er muss sich entscheiden, ob er den Artikel online mitaufnimmt, oder ihn online lieber nicht verkauft. Wenn ich einen Artikel habe, der im Laden gut funktioniert, dann habe ich damit die größte Marge, weshalb ich ihn nicht online verkaufen werden. Vielleicht am Ende der Saison oder in der Mitte der Saison, wenn es etwas ruhiger wird. Aber ich muss mich mit meiner Ware beschäftigen. Und das ist durchaus viel Arbeit.